Mitgefühl leidet nicht

In ihrer Feinfühligkeit identifizieren sich Menschen oft mit dem Unglück anderer Menschen, weil sie einen ähnlichen Schmerz in sich tragen, der sich nach Er-lösung sehnt. Sie leiden tatsächlich mit, und oft wird Mitleid mit Mitgefühl verwechselt. Mitgefühl aber leidet nicht. Was ist also der Unterschied zwischen Mitleiden und Mitfühlen?

Mitleiden tun wir, solange wir selbst den Schmerz in uns tragen. Zu Mitgefühl werden wir fähig, wenn wir unsere Schmerzen geheilt haben. Dann können wir liebevoll den Raum halten, lassen uns vom leiden aber nicht mehr runterziehen. Wir sind durch unseren Schmerz hindurchgegangen, sind ihm begegnet, haben ihn nicht mehr unterdrückt, sondern haben ihn liebevoll angenommen und erlöst. So konnte er sich auflösen, und die Energie, die vorher im Schmerz verkapselt war, fließt nun als Liebe, Dankbarkeit und Mitgefühl.


Vom Bewusstsein her meinen wir es in den meisten Fällen natürlich gut. „Schau, wie nah mir dein Schmerz geht. Ich fühle mit dir.“ Doch es geht hier nicht um ein Gefühl, sondern um eine Emotion, die sich ausdrücken möchte, meist gepaart mit Wut auf andere, die den Schmerz vermeintlich verursacht haben.

Dieses Verhalten ist uns natürlich nicht bewusst. Es ist ein unbewusster Mechanismus, der unterbewusst nach Heilung strebt, das wonach wir alle streben, nach Ganz- und Wieder-Heilwerden. Da wir aber auf dem Weg der Bewusstseinsentwicklung und des Wachstums sind, müsse wir uns erst oft verlaufen und in die Irre geführt werden, um den konstruktiven Weg zur Heilung zu erkennen. Das Leben ist ein Prozess des Lernens, und alle Wege und Erfahrungen dienen der Selbsterkenntnis. Sich zum Leid eines anderen Menschen dazu zu gesellen, lindert nicht das Leiden.


Unbewusst steckt da der Ruf dahinter, durch das Mitleiden selbst Aufmerksamkeit, Trost und Anerkennung zu finden. Und insofern - und ich weiß, dass das hart klingen mag, aber so ist das nicht selten  mit der Wahrheit - ist ein solches Verhalten egoistisch. Denn wir gaukeln - wenn auch nicht böswillig, da unbewusst - Mitgefühl vor, verbinden uns aber eigentlich mit den Energien eines anderen, um uns selbst in unserem Schmerz zu spüren, und so auf uns „als Opfer“ aufmerksam zu machen. Wir wollen Liebe und Aufmerksamkeit; wir wollen, dass man sich um uns kümmert, und bekommen so natürlich keine Liebe, sondern Mitleid. Kümmern kommt übrigens von Kummer.


Mitleiden heilt nicht, sondern verstärkt das Leid, weil das Ego gerade dieses Leid braucht. Es dient der Kompensation eines Mangels an Liebe und Aufmerksamkeit, auch wenn natürlich der Ruf nach Erlösung des Mangels zugrunde liegt, dies allerdings unter-bewusst. Durchschauen wir dieses egoistische  Verhalten, erkennen wir, dass Mitleid uns unsere Energie nimmt und uns schwächt, womit wir keine wirkliche Hilfe sind. Es fühlt sich tatsächlich so an, als wird man in das Leid des anderen mit hineingezogen, da dieser ja in der Unterversorgung ist. Beide versinken im Sumpf des Leidens.

Werden wir bewusster, spüren wir, dass nur Liebe heilen kann, eine Liebe, die unkorrumpiert und präsent bleibt, eine Liebe, die nicht dem Habenwollen des Egos, sondern dem Verströmen einer unversiegbaren Quelle in uns entspringt. Diese Liebe ist stark und bleibt bei sich. Sie reicht dem Leidenden die Hand, um ihn hochzuziehen, nicht aber um sich von ihm herunter ziehen zu lassen.

Liebe macht immer ein Angebot, sie braucht den anderen nicht; sie ist frei. Wenn der andere das Angebot nicht annimmt, akzeptiert sie es, und belässt ihn in seiner Eigenverantwortung, macht ihm diese vielleicht gerade dadurch deutlich: die Eigen-verantwortung, das Allerwichtigste für uns Menschen, um unserem Leben als Schöpfer gerecht zu werden.

Heilung findet nicht im Trösten, sondern im Annehmen und im Verständnis statt, ein Verständnis des Herzens, nicht des Intellekts. Das Leiden wird nicht verdrängt, aber es wird auch kein "Thema" daraus gemacht, denn sonst wird es zu einem Thema und geht in den Kopf, anstatt im Herzen gefühlt zu werden, damit es sich auflösen und sich zu Freude, Liebe und Dankbarkeit wandeln kann.


Überhaupt ist es wichtig, einfach nur still und präsent liebevoll den Raum zu halten, anstatt "über" das, was da gerade ist, zu reden. Denn dann gehen wir aus dem Sein ins Tun, und somit meist ins Rationalisieren. Bleiben wir beim Fühlen, atmen wir, atmen wir dadurch. Mitgefühl kann das (aus)halten, da Mitgefühl die natürliche Folge eigener Heilungsprozesse ist, und somit eben keine Resonanz mehr zum Leiden besteht. Aushalten kann man jedoch nicht, wenn der eigenen Schmerz berührt wird; dann leidet man mit und hofft, sich gegenseitig Halt geben zu können, was schwierig sein dürfte, wie Sie jetzt vielleicht mehr und mehr verstehen. Es mag zu einer vorübergehenden Erleichterung kommen, wie jegliche emotionale Entladung eine vorübergehende Erleichterung mit sich bringt. Das ja, aber um zu heilen, braucht es immer eine höher schwingende Energie, eben die der "reinen" Liebe. Und mit rein ist hier die bedingungslose Liebe gemeint, eine Liebe, die sich nicht identifiziert und sich auch nicht persönlich bezieht.


Das Mitgefühl weiß, dass das Auftauchen von Schmerzen bereits die Heilung selbst ist. Das Annehmen dessen, was ist, bringt Frieden und Heilung. Wir sprechen von der alchemistischen Wandlung. Es ist alles dieselbe Energie, aber die Formen, in denen Energie sich manifestiert, ändern sich. Es liegt am Grad des Bewusstseins, und was wir in die Schmerzen hinein interpretieren. Erkenne wir an, dass Schmerzen zum einen zum Leben dazu gehören und nichts Schlimmes bzw. Dramatisches sind, und erkennen wir weiterhin an, dass Schmerzen oft ein Zeichen dafür sind, dass Liebe wieder fließt, und somit alte Blockaden zum Schmelzen gebracht werden, dann wissen wir auch, dass es ein- und dieselbe Energie ist, die sich in einem Moment als Schmerz zeigen kann und im nächsten Moment als Gnade und Sanftmut als Zeichen der Erlösung. Somit ist alles immer im Fluss, so wie das Leben selbst, wenn wir uns ihm nicht in den Weg stellen bzw. es anders haben wollen als es ist. Und zu fließen, ist eines der Grundvoraussetzungen, sich in seiner Haut und mit seiner Umwelt wohl und im Einklang zu fühlen.


Im Mitfühlen nehmen wir das Leid an, gerade so wie eine Mutter ihr Kind, welches sich weh getan hat, in den Arm nimmt, ohne es zu erdrücken oder es dazu zu benutzen, sich selbst im eigenen Schmerz, welches sie auf ihr Kind projiziert, zu trösten, sondern Raum lassend und gebend und zugleich haltend. Dies ist eine neutrale liebende, nicht wertende Haltung. Sie kommt dem reinen Gewahrsein gleich. Man bleibt liebevoll präsent. Somit erfährt der Leidende, dass er und alles in Ordnung ist und dass er gesehen wird. Seine Strategie, Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen, was oft dem Opfer-Verhalten des (Selbst-)mitleids zugrunde liegt, dürfen sich auflösen, da ihnen der Nährboden entzogen wird und er stattdessen tatsächliche Wertschätzung und Liebe erfährt. Krokodilstränen verwandeln sich zu Tränen der Erlösung, des Mitgefühls und der Heilung

 

Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl. Mitgefühl leidet nicht. Es nimmt das Leid wahr und bleibt in der Liebe. Mitleid dagegen ist eine Kompensationsstrategie des Egos, welches versucht Mitgefühl zu imitieren, in Wahrheit aber auf Liebe und Erlösung selbst hofft.

 

Herzlichst,

Ihre Taruna N. Reupsch

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